Lucie gewinnt zwei Bronze-Medaillenbei den deutschen Meisterschaften

Das gotische Münster von Ulm besitzt mit 162 Metern den höchsten Kirchturm der Welt. Dieselbe Höhe, nur in Zentimetern, maß Lucie Schmied bis vor kurzem. Jetzt, in der Hauptwettkampfphase, ist sie 2 Zentimeter gewachsen. Eine gute Körpergröße ist in der Leichtathletik vorteilhaft, und innerlich wächst man bekanntlich mit seinen Aufgaben. Bei den deutschen Meisterschaften der U 16 in Ulm stand Lucie am ersten Juli-Wochenende vor ihrer größten Mission als Sportlerin. Sie wollte innerhalb von 24 Stunden einen Doppel-Start absolvieren. Optimistisch gesprochen ein mutiges, realistisch gesehen ein schwieriges, für Kritiker ein waghalsiges Unternehmen.
Los ging es am Freitagabend im Donaustadion mit den 3.000 Metern. Der Plan war, mit ihrer eigenen Philosophie zu agieren, parallel dazu das Rennen zu lesen und im passenden Moment das Richtige zu tun. Und dieser Plan ging auf. Vorneweg die Unschlagbare, Luise Brzoska (Eintracht Frankfurt), in ihrer eigenen Welt. Dahinter 6 (von insgesamt 17) Mädchen mit nahezu gleichem Niveau, darunter Lucie. Es wurde
ein knallharter Abnutzungskampf. Eine nach der anderen musste abreißen lassen. Zur Glocke für die letzte Runde war ein Trio übrig geblieben, das sich um die Plätze 2 und 3 stritt. Lucie zog ihren berüchtigten langen Spurt an und holte sich in 10:16,74 Minuten die Bronzemedaille mit Bestzeit und Thüringen-Rekord. Damit hatte sie ihr Traumziel für ihre ersten deutschen Meisterschaften schon an Tag 1 erreicht.
Am Samstagabend folgten die 1.500 Meter Hindernis mit 18 Starterinnen. Hier gab es den erwarteten Sieg für eine weitere Außerirdische, Mila Klein aus Berlin, die den deutschen Rekord der AK 15 knackte. In der ersten Verfolgergruppe: Lucie. Und da passierte etwas, worüber man im Training spricht, von dem man jedoch glaubt, dass man selbst nicht in solch eine Situation kommt: Etwa zur Hälfte der Distanz stürzte Lucie über einen Balken. Mit einer Risswunde am Knie konnte sie weiterlaufen, war aber auf Platz 10 zurückgefallen. Es folgte eine Geschichte, wie sie nur der Sport schreibt. Während der verbleibenden zwei Runden machte Lucie trotz ihrer schweren Beine vom Lauf am Vortag Platz für Platz gut und wurde am Ende noch Dritte! In Lucies Sog steigerte sich ihre Freundin Kimberly Deidersen aus Mühlhausen um 8
Sekunden und krönte ihre erste DM mit einem ganz starken 5. Platz. Die Gründe für Lucies sportliche Entwicklung sind in erster Linie bei ihr selbst zu sehen. Sie hat Talent. Sie ist eine Arbeiterin auf der Laufbahn und auf den Feldwegen rund um Henningsleben. Sie ist gierig nach Erfolgen und definiert dafür ihre eigenen Grenzen neu. Mit ihrer Intelligenz, ihrer Struktur und mit einem gesunden Maß an Eigenwilligkeit organisiert sie sich ihren Alltag nach den Gesetzen des Trainings. Sie verzichtet auf das normale Leben einer 15-Jährigen. Ihre Rennen bestreitet sie mit einem gewissen Killer-Instinkt. Dabei mobilisiert sie Kräfte, die eigentlich gar nicht mehr da sind. Lucie ist etwas Besonderes, auch wenn sie das ungern hört oder liest.





Natürlich ist da viel „Personal“ um sie herum, das ihr die Wege ebnet, auf denen sie läuft. Ihre Eltern und Großeltern. Der Verein SV Empor, der sich Leistungssport auf sein Logo geschrieben hat. Die Stadt Bad Langensalza, die ihr die Trainingsstätten zur Verfügung stellt. Landestrainer Enrico Aßmus, der uns bei der Trainingsplanung unterstützt. Klassenlehrer Christian Heim, der sie vom Unterricht frei stellt. Freunde und Bekannte und ihre Trainingsgruppe, die hinter ihr stehen und teilweise sogar in Ulm live vor Ort dabei waren (siehe die Fan-Fotos von Freitag und Samstag). Ein großer Dank geht an alle Sponsoren der Leichtathletik und besonders an unseren Hauptsponsor BOREAS. Ohne Förderer wäre das alles undenkbar.
Bis vor kurzem konnte man 100 Lucies übereinander stellen, um die Kirchturmhöhe von Ulm zu erzielen. Jetzt reichen 99, weil das Mädel gewachsen ist. Die 100. Lucie haben wir wieder mit nach Hause gebracht. Die wahre, die echte, die beste Lucie. Sie ist so zuverlässig, so nervenstark, so widerstandsfähig und allzeit bereit für das große Kino. Ihr kleiner Bruder Ruben sagt, Lucie ist eine „Macherin“. Diese Aufholjagd im
Hindernisrennen von Ulm war für ihren Trainer Ronald Schulze die größte Leistung, die jemals eine oder einer seiner Athleten vollbracht hat. Mit einem Abendessen beim Italiener im Fischerviertel an der Donau (danke Familie Dul für die Einladung) fand ein unvergessliches Wochenende einen delikaten und entspannten Abschluss.